Der Wolf lässt die Volksvertreter*Innen in Masslosigkeit verfallen

27. Dezember 2023
Webartikel

In der Wintersession 2023 wurden rund 20 parlamentarische Geschäfte im Zusammenhang mit dem Wolf eingereicht. Mehr als die Hälfte davon stammt von Parteien, die seinen Tod wünschen. Wenn man auf der Website des Bundesparlaments das Stichwort "Wolf" eingibt, erhält man 1'225 Treffer. Auch in den Kantonen, insbesondere im Wallis, gibt es zahlreiche Volksvertreter, die gegen diese Tierart hetzen (Quelle / Quelle). Die meisten kommen aus den rechten Parteien - hauptsächlich aus der SVP, aber auch aus der FDP und dem Zentrum - und rufen dazu auf, immer mehr Wölfe abzuschießen, um die Interessen der Viehzucht und der Jagd zu verteidigen. Dabei ist der Wolf (noch) eine geschützte Tierart.

Seit November 2023 hat die Situation eine entscheidende Wende genommen. Albert Rösti, SVP, der kürzlich zum Vorsteher des Umweltdepartements gewählt worden war, verteidigte Anfang November das Inkrafttreten der Jagdverordnung. Diese sollte es ermöglichen, 60% der Wölfe im Land zu töten und den kantonalen Behörden die Möglichkeit geben, die Populationen präventiv und temporär zu "regulieren" - ein zynischer Euphemismus. Die kantonalen Behörden haben bis zum 31. Januar 2024 Zeit, um die Wölfe mit der Zustimmung des BAFU zu töten.

Warum eine solche Entscheidung? Der Bundesrat, in dem 5 von 7 Mitgliedern wolfsfeindlicher Parteien vertreten sind, erklärt, dass es im Jahr 2020 in der Schweiz 11 Rudel mit etwas mehr als 100 Wölfen geben werde. Derzeit gäbe es jedoch 32 Rudel mit rund 300 Wölfen. Der Entwurf des Bundesrates will also die Anzahl der Rudel reduzieren, auf mindestens zwölf. Ein wahres Gemetzel. Der Bundesrat hofft so, dass "die Wölfe wieder scheu werden". (Quelle).

Wolfsangriffe laut Pro Natura rückläufiG

Dennoch sind die Wolfsangriffe laut einer vorläufigen Bilanz von Pro Natura um 30 % zurückgegangen (Quelle). Bis Ende September 2023 gab es 837 Wolfsangriffe, verglichen mit 1'214 im letzten Jahr zum gleichen Zeitpunkt. Und laut der Gruppe Wolf Schweiz hätten die Daten aus dem Kanton Wallis gezeigt, dass 80% der angegriffenen Nutztiere über keinen Herdenschutz verfügten. Nach Ansicht der Vereinigung muss das Fehlen solcher Maßnahmen daher korrigiert werden.

Für die Umwelt- und Tierschutzverbände ist diese Revision der Jagdverordnung ein Durchmarsch der wolfsfeindlichen Kreise, die sich darüber hinwegsetzen, dass das Volk am 27. September 2020 an der Urne abgelehnt hat, den Abschuss von Wölfen zu erleichtern.

Selbst die Konferenz für Wald, Wildtiere und Landschaft (WWLK) ist der Meinung, dass "die vorgeschlagene Regelung bei der Regulierung des Wolfs deutlich zu weit geht und nur die Seite der Landwirtschaft berücksichtigt" und befürchtet, dass "die hier festgelegten Regulierungsmechanismen zu weitreichend sind und die Präsenz des Wolfs in der Schweiz nicht garantieren". (Quelle).

Verbände reichen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein

Dennoch wurde ab dem 1. Dezember 2023 die präventive Regulierung von Wolfsrudeln erlaubt. Zahlreiche Verbände reagierten, darunter auch Pro Natura: "Eine regelrechte Jagd auf Wölfe hat begonnen, statt einer gezielten Regulierung auf signifikante Schäden. Diese extreme Praxis vernachlässigt die Rolle des Wolfes für den Wald und verstösst gegen das Gesetz. Wir legen gegen mehrere Abschussgenehmigungen Beschwerde ein". Für die NGO "hat die Umsetzung der neuen Jagdverordnung eine regelrechte Jagd auf den Wolf ausgelöst. Sie beschränkt sich nicht auf eine gezielte Regulierung, um grosse Schäden zu verhindern, wie es für eine geschützte Art erwartet wird. Der Bund und die Kantone missachten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und missachten die wichtige Rolle, die das Raubtier im Waldökosystem spielt. Die Naturschutzorganisationen sind der Ansicht, dass geltendes Recht verletzt wird. Sie fordern die Gerichte auf, über die Rechtmäßigkeit mehrerer Abschussgenehmigungen zu entscheiden". (Quelle) WWF, Pro Natura und BirdLife Schweiz reichen beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) eine Beschwerde ein.

Teilsieg der Umweltorganisationen

Die Verbände konnten am 13. Dezember einen Teilsieg erringen, da das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) die präventive Tötung von drei Wolfsrudeln in drei Regionen, darunter Wallis und Graubünden, blockierte. Der Aufschub könnte jedoch nur von kurzer Dauer sein. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat nämlich sofort reagiert. Es reichte beim BVGer einen Antrag ein, damit die präventive Jagd auf Wölfe wieder aufgenommen werden kann. Der Walliser Staatsrat Frédéric Favre kündigte ebenfalls an, dass das Wallis die Aufhebung der aufschiebenden Wirkung beantragen werde.

Die Viehzuchtlobby zeigt einmal mehr ihre Macht

Laut dem Schweizerischen Bauernverband und dem Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verein gefährdet die Zunahme der Anzahl Wölfe in der Schweiz die Wirtschaft und die Haltung von sogenannten "Nutztieren" (Quelle). Ihre Stimmen wurden von allen Seiten laut, in den kantonalen Parlamenten und im Bundesparlament, wo Dutzende von parlamentarischen Geschäften im Zusammenhang mit dem Abschuss von Wölfen eingereicht wurden. Der starke Druck auf politischer Ebene hat gewirkt und die Befürchtungen der Viehzüchter scheinen erhört worden zu sein. Seit der Genehmigung durch das BAFU wurden bereits mehr als 20 Wölfe getötet: 8 von 44 Wölfen in Graubünden und 17 von 34 Wölfen im Wallis (Quelle).

Mit diesen Tötungen missachten der Bund und die Kantone das Prinzip der Verhältnismässigkeit, so Pro Natura, WWF, BirdLife und die Gruppe Wolf Schweiz. Trotz ihres Teilsieges bedauern die Organisationen, dass die wichtige Rolle des Wolfes im Waldökosystem nicht berücksichtigt wird.

Die Situation für den Wolf ist katastrophal, in der Schweiz und anderswo

Seit 1992 genießen die meisten Wolfspopulationen in Europa einen "strengen Schutz" mit möglichen Ausnahmeregelungen. Am 20. Dezember kündigte die Europäische Kommission jedoch an, dass sie den Schutz des Wolfes senken wolle. Sie schlug vor, den Status auf einen einfachen Schutz zu reduzieren, um Wölfe, die als zu zahlreich angesehen werden, leichter zu entfernen. Dieser Vorschlag wurde von Viehzüchtern in mehreren Ländern gefordert. Er muss noch von den EU-Mitgliedstaaten angenommen werden.

In einer Pressemitteilung erklärte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, dass "die Rückkehr der Wölfe eine gute Nachricht für die biologische Vielfalt in Europa ist. Aber die Konzentration von Wolfsrudeln in einigen europäischen Regionen ist zu einer echten Gefahr geworden, insbesondere für das Vieh". Am 20. Dezember 2023 schlug sie eine Herabstufung des Schutzstatus des Wolfes von "streng geschützt" auf "geschützt" vor.

Eine gefährliche Entscheidung, so der WWF. "Indem sie - was noch nie vorgekommen ist - vorschlägt, das Schutzniveau einer in einem internationalen Übereinkommen geschützten Art zu schwächen, gefährdet die Kommission auch die Erhaltung von Arten und natürlichen Lebensräumen als Ganzes, sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU", sagt die Organisation. Sie erinnert daran, dass 68% der Menschen in ländlichen Gebieten der Meinung sind, dass Wölfe streng geschützt werden sollten. Die NGO fügt hinzu, dass "dieser Vorschlag, den Schutzstatus des Wolfes zu senken, auf keiner wissenschaftlichen Grundlage beruht und einer rein politischen Logik folgt, die der öffentlichen Meinung widerspricht" (Quelle).

In der Schweiz werden die nächsten Monate für den Wolf entscheidend sein. Im Frühjahr 2024 wird der Bundesrat ein Vernehmlassungsverfahren zur Revision der Jagdverordnung eröffnen. Sie wird sich insbesondere auf die Bestimmungen zur Regulierung von Rudeln beziehen. Das angepasste Jagdgesetz soll am 1. Februar 2025 endgültig in Kraft treten (Quelle).

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Einige während der parlamentarischen Wintersession eingereichte Geschäfte: